Einblicke in Maria Stuart
Notizen zur Fassung und zur InszenierungDoppelgängerinnen und Maschine der Macht
Ausgangspunkt für die Konzeption von Mahin Sadri und Amir Reza Koohestani war die Überlegung, dass sich die beiden Königinnen in einer ähnlichen, spiegelbildlichen Situation befinden.
„In Schillers Stück nennen sie sich Maria und Elisabeth gegenseitig »Schwester«. Die eine hat Liebe und keine Macht, und die andere hat Macht, aber keine Liebe“, sagt die Autorin Mahin Sadri. Schillers Stück meißelt die politische und persönliche Rivalität der beiden Königinnen heraus und stellt sie zugleich in Frage.
Die Fassung verstärkt zugleich die spiegelbildliche Dramaturgie, in dem es das Personal um die Pole Maria und Elisabeth symmetrisch anordnet: Mahin Sadris Fassung verdichtet den Klassiker zu einem „intimen Kammerspiel mit zwei Königinnen, zwei Liebhaber*innen, zwei Kammerfrauen und einer Wächterin“.
Doppelgänger sind ein häufiges literarisches und künstlerisches Motiv, das unter anderem auch Franz Kafka öfters aufgegriffen hat, und welches sich auch in früheren Theaterarbeiten von Amir Reza Koohestani findet.
In der Inszenierung von Maria Stuart verdeutlichen die funktionalen „Doppelgänger“ und die Doppelbesetzung der beiden Königinnen die Abhängigkeit der Figuren von der Herrschaftsstruktur. Nicht nur Maria Stuart, auch Elisabeth ist eine Gefangene des Systems: „Beide Königinnen versuchen verzweifelt die Bedingungen der Politik zu verändern, so dass für sie die Rolle als Machthaberin lebbar wird. Sie wollten gute Regentinnen sein. Aber das politische System steht ihnen im Weg.
Elisabeth regiert zwar das Land, aber sie ist von einem durch und durch männlichen System umgeben. Die leidenschaftlichste und konservativste politische Partei im Iran hatte die erste weibliche Ministerin, die eine sehr repressive Politik gegenüber Frauen vertrat. (Vergessen wir nicht die „Eiserne Lady“ im England der 1980er Jahre.)
Es scheint, als ginge es um die Schaffung eines wirksamen Images und nicht darum, dass eine Frau ihren Weg des Regierens gestalten könnte. Diese politische Maschine, die den beiden Königinnen den Weg vorgibt, ist in unserer Inszenierung durch die Drehscheibe symbolisiert, die die Figuren immer wieder zum selben Platz befördert,“ so Amir Reza Koohestani.
Die Kammerfrauen, die Frauen der Proteste
Eine wesentliche Änderung, die die Autorin Mahin Sadri gegenüber dem Original von Friedrich Schiller vornimmt, ist die stärkere Gewichtung der Kammerfrauen. Im Original gibt es nur in der Sphäre der Maria weibliche Bedienstete. In Sadris Fassung nehmen zwei Kammerfrauen – an spiegelbildlicher Position, eine bei Maria, eine bei Elisabeth – wichtige Positionen ein. Sie sind Schwestern, vielleicht Zwillingsschwestern.
„Sie sind Frauen aus der Arbeiterklasse. Im Gegensatz zum Original sind sie mehr in die Handlung involviert und sie treffen ihre eigenen Entscheidungen. Zu Beginn der Inszenierung sehen wir einen Teil des 5. Akts. Die Kammerfrauen verabschieden sich von Elisabeth, weil sie die Missstände des politischen Systems nicht mittragen wollen. Vielleicht schließen sie sich dem Aufstand vor den Mauern des Schlosses an…
Jedenfalls repräsentieren sie die Stimme derer, die oft nicht gehört werden. Das ist für mich eine starke Brücke zu dem, was im Iran geschieht.“, so Amir Reza Koohestani.
„Außerdem arbeite ich im Team mit drei iranischen Frauen, der Autorin Mahin Sadri, der Bühnenbildnerin Mitra Nadjmabadi und der Kostümbildnerin Negar Nemati. Ihre Sicht auf die Welt, auf Macht, Unterdrückung und Geschlechterbilder – also die Themen, die Schiller verhandelt – beeinflusst ihre ästhetischen Entscheidungen. Auch auf diesem Weg ist es ein Stück iranischer Frauen.“