Artikel

Die Pubertät als ganz normaler Wahnsinn

Über Toleranz, Pubertät und Feminismus in den Filmen von Eva Spreitzhofer
Produktionsfoto Wie kommen wir da wieder raus?

Für Wanda beginnt der Wahnsinn erst richtig, als ihr ihre 16-jährige Tochter Nina eröffnet, sie sei online zum Islam übergetreten. Nina trägt ab sofort Kopftuch und heißt jetzt Fatima, alhamdulillah! Wanda ist fassungslos, lebt sie selbst doch als erfolgreiche Oberärztin mit einem jüngeren Lebensgefährten und ihrem Ex-Mann in einer intakten, aber chaotischen Patchworkfamilie, in der Frauenrechte hochgehalten, gegen Rassismus und die Auswüchse des Kapitalismus protestiert wird. 

Für die atheistische und weltoffene Feministin Wanda prallen plötzlich Welten aufeinander.

Genau deshalb ist Wanda so überrascht, dass Nina den Schritt in den die pubertäre Freiheit so rigoros beschränkenden Islam wagt. Mit ihrem neuen Bekenntnis ist sie allerdings nicht allein in ihrer Familie: Ihr Vater Harald und seine neue Partnerin Sissy bekommen demnächst ein Baby und sie besteht darauf, vorher katholisch zu heiraten. Für die atheistische und weltoffene Feministin Wanda prallen plötzlich Welten aufeinander! 

Weil hier Menschen mit Offenheit und Toleranz plötzlich nicht mehr weiterkommen, wenn sie auf Leute treffen, die gar nicht tolerant sind.
Eva Spreitzhofer

Es ist kein Zufall, dass die Regisseurin Eva Spreitzhofer die „Patchworkfamilie“ als familiären Rahmen auswählt: „Zum einen kenne ich diese Form von Familie sehr gut, weil ich immer so gelebt habe. Für das Thema ist eine liberale Patchworkfamilie halt auch deshalb lustig, weil hier Menschen mit Offenheit und Toleranz plötzlich nicht mehr weiterkommen, wenn sie auf Leute treffen, die gar nicht tolerant sind und finden, dass Toleranz das Schlimmste ist, was es gibt.“ 

Der ganz normale pubertäre Mutter-Tochter-Konflikt trägt das Weitere zur komödiantischen Eskalation der Ereignisse bei. „Warum macht Nina das? Das ist der springende Punkt, dass man als Erwachsene nie genau weiß, warum eine Pubertierende etwas macht. Ich wollte konsequent durchziehen, dass die Mutter keine Chance hat, draufzukommen, warum Nina das macht“, so Regisseurin Spreitzhofer. 

Sie macht deutlich, dass unser gegenwärtiges Verständnis von Toleranz die Werte einer offenen Gesellschaft gefährden könnte.

Protagonistin Wanda ringt von Anfang an mit der Frage, wo denn nun eigentlich die Grenzen der Toleranz sind. Die Diskussion um weibliche Bekleidungsverbote wie Burka und Kopftuch verweist auf ein viel komplizierteres Problem. Sie macht deutlich, dass unser gegenwärtiges Verständnis von Toleranz die Werte einer offenen Gesellschaft gefährden könnte. Und zwar, indem wir plötzlich aggressive Politik, Aufrüstung, Aufhebung der Freiheitsrechte, rechtsextreme Demonstrationen, ebenso wie religiöse Bewegungen akzeptieren, die selbst so ganz und gar nicht tolerant und demokratisch sind, und eine Geschlechterhierarchie vertreten, die lediglich auf religiösen Dogmen beruht. 

Denn die Idee der Freiheit in demokratischen Gesellschaften schließe die Toleranz gegenüber rückschrittlichen Bewegungen aus.
Herbert Marcuse

Vor dieser Gefahr warnte uns vor Jahrzehnten schon der Philosoph und Soziologe Herbert Marcuse. Statt für eine Gesellschaft zu kämpfen, in der kein Mann der Überzeugung ist, es sei sein Recht, die Kleidung einer Frau vorzugeben, und keine Frau meint, ihr Gesicht nicht öffentlich zeigen zu können, ging unsere Toleranz so weit, dass sie die Geschlechterungerechtigkeit als kulturelle Vielfalt akzeptierte. 

Ein schwerer Denkfehler wie Marcuse meint: Denn die Idee der Freiheit in demokratischen Gesellschaften schließe die Toleranz gegenüber rückschrittlichen Bewegungen aus. Spreitzhofer zieht ein ähnliches Fazit: „Die einen wollen die Frauen ausziehen, die anderen wollen sie anziehen. Und dann die Absurdität, dass es Feminist*innen gibt, die sich fürs Burkini-Tragen stark machen, während ihre feministischen Großmütter vor 50 Jahren ihre BHs verbrannt haben. 

Und das nicht zu unterstützen, ist eine politische Frage, keine Frage der Freiwilligkeit.
Eva Spreitzhofer

Prinzipiell sollen natürlich alle anziehen dürfen, was sie wollen, logisch. Aber dass Schulen auf einmal für Mädchen, die hier geboren sind, über irgendwelche Schwimmunterrichts-Ausnahmen nachdenken, ist ein unfassbarer Backlash. Da geht’s doch dann darum, es gibt ehrbare Frauen, die verhüllen ihre Reize und tragen Burkini und dann gibt’s die Schlampen, die gehen im Bikini. Und das nicht zu unterstützen, ist eine politische Frage, keine Frage der Freiwilligkeit.“

Lisz Hirn ist promovierte Philosophin, Buchautorin und Dozentin. Ihre Schwerpunkte liegen in der philosophischen Anthropologie, politischen Philosophie, interkulturellen Ethik und der philosophischen Praxis. Zuletzt erschien 2023 ihr Buch “Der überschätzte Mensch: Anthropologie der Verletzlichkeit“ im Zsolnay Verlag. Für ORF Topos und Ö1 gestaltet sie mit Fahim Amir den Podcast „Philosophieren mit Hirn und Amir“. Lisz Hirn gestaltete die Schulmaterialien zur Veröffentlichung des Kinofilms „Wie kommen wir da wieder raus?“ von Eva Spreitzhofer, aus denen dieser Text stammt.

  • Da JavaScript dekativiert ist, werden einige Inhalte nicht geladen.
  • Da dein Browser nicht supportet wird, werden einige Inhalte nicht geladen.
  • Auf Grund von zu geringer Bandbreite werden einige Inhalte nicht geladen.
  • Auf Grund von zu schwacher Hardware werden einige Inhalte nicht geladen.