Die politische Doppelmühle
Ein Gespräch mit der Autorin Barbara Blaha über Teilhabemöglichkeiten an der Politik, Geschlechterstereotype der Macht und „authentische“ Politikerinnen.Elisabeth beklagt an zentraler Stelle in „Maria Stuart“, dass sie in politischen Verhandlungen und vor Gericht immer nur auf Männer trifft. Wie männlich ist der politische Apparat heute?
Verglichen mit der Zeit von Maria Stuart und Elisabeth hat sich in dieser Frage einiges getan. Aber obwohl wir mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung ausmachen, haben Frauen in den politischen Gremien nicht annähernd die gleiche Repräsentation.
Wer in einer kleinen Gemeinde als Bürgermeister*in kandidiert, interessiert den „Standard“ nicht, aber wer im Europaparlament sitzt, schon. Mit der Medienöffentlichkeit kommt der Druck, dass auch Frauen vertreten sein müssen.
Verteilen sich die Frauen im Parlament gleichmäßig auf die Parteien?
Nein, die verhältnismäßige gute Frauenquote im Parlament sollte uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass nicht jede Partei Frauen fördert. Ein Frauenanteil im Nationalrat von jetzt knapp 38 bis 39 Prozent ist deshalb möglich, weil die Grünen übererfüllen. Die haben einfach mehr als 50 Prozent Frauen in ihrem Club, während in den Clubs der FPÖ und der ÖVP weit weniger als 25 Prozent Frauen sitzen. Der Gesamtschnitt verzerrt also das Bild ein bisschen.
Gibt es neben der öffentlichen Aufmerksamkeit noch andere Faktoren, die sich günstig auf den Frauenanteil auswirken?
Ein zweiter Faktor, der eine große Rolle spielt – das sehen wir auch in anderen europäischen Ländern – ist, dass es in höheren Ebenen eher Quotenregelungen gibt. Ganz unten gibt es die nicht. Es ist außerdem empirisch belegt, dass das Personenwahlrecht tendenziell Männer bevorzugt gegenüber dem Listenwahlrecht. Denn wenn Parteien nur eine Person aufstellen dürfen, schicken sie eher Männer ins Rennen.
Welche strukturellen Bedingungen des Politiker*innenberufs halten Frauen davon ab, überhaupt in diesen Bereich einsteigen zu wollen?
Der Politiker*innenberuf wurde in einer Zeit gebastelt, in der Frauen sowohl vom aktiven als auch vom passiven Wahlrecht ausgeschlossen waren. Das heißt, wir haben die Spielregeln gestaltet, als Frauen in keiner Form mitreden konnten. Dementsprechend schauen die Spielregeln auch aus. Es ist kein Zufall, dass wir bis heute keinerlei Mutterschutz oder Karenzregelungen für Politikerinnen haben. Das machen andere Länder anders. In Schweden ist es völlig selbstverständlich, dass man als Politikerin in Mutterschutz geht.
Ein anderer wichtiger Aspekt ist die Frage der Personalauswahl und der Wege in die Politik. Normalerweise fängt man in der kleinen Gemeinde, im Dorf oder im Bezirk an. Viele dieser Strukturen, gerade am Land, sind männlich dominiert und oft nicht besonders neugierig darauf, dass eine weibliche Bürgermeisterin vorbeikommt. Das heißt, auf dieser Ebene ist es für Frauen schwieriger sich auf dem Parkett zu bewegen.
Und selbstverständlich ist ein weiterer wichtiger Ausschlussgrund für Frauen, dass sie sehen, wie schwer vereinbar Politik und Familie miteinander ist. Während Männer sagen, kein Problem, mir hält meine Frau den Rücken frei, ist das für weibliche Politikerinnen nicht selbstverständlich. Wenn Kinder ins Spiel kommen, müssen sie irgendwo zurückstecken. Wir sehen auch bei Frauen, die nicht politisch aktiv sind, dass viele ihre Erwerbstätigkeit reduzieren, sobald sie Mütter werden.
Gibt es auch Probleme oder Nachteile dadurch, dass es weniger Role Models gibt?
Gloria Steinem hat mal gesagt: „You can‘t be what you can‘t see“. Und wir müssen uns einfach vor Augen halten, dass Wien noch nie von einer Frau regiert worden ist. Wir hatten noch nie eine weibliche Bundespräsidentin. Deshalb finde ich die Frage der fehlenden weiblichen Vorbilder nach wie vor relevant. Sie führen dazu, dass sich junge Mädchen oder Frauen gar nicht vorstellen können, dass Politik eine Karriereoption ist.
Natürlich hat sich das tendenziell schon verbessert, das sehen wir jetzt an den weiblichen Spitzenkandidatinnen für die Nationalratswahl. Aber für junge Männer liegt der Weg in die Politik viel näher, weil sie eben viel stärker vertreten sind und die Berufsnorm von Männern geformt wurde, als wir die Republik gebaut haben.
Wie ist das mit dem Führungsstil von Frauen? In „Maria Stuart“ wird Königin Elisabeth unter anderem mit Attributen von weiblichem Führungsstil bedrängt. Als Frau solle sie eine „gütige“, keine „strenge“ Herrscherin sein.
Es gibt eine sehr interessante Studie, die alle westlichen Industrienationen in den Blick genommen und gefragt hat, was denn Eigenschaften sind, die wir einem guten Politiker oder einer guten Politikerin zuschreiben würden.
In allen Ländern antworteten die Menschen übereinstimmend, dass ein guter Politiker durchsetzungsstark sein muss, einen Plan haben muss, er soll auch mal auf den Tisch hauen können und wissen, wo es lang geht. Das sind alles Eigenschaften, die wir stereotyp eher Männern zuschreiben als Frauen. Frauen wird eher zugeschrieben, dass sie harmoniebedürftig sind, dass sie auf die Gruppe schauen, dass sie sich gut kümmern, dass sie Konflikte nicht so gut aushalten und so weiter und so weiter.
Das heißt, ihr Set an Eigenschaften geht am Set der Eigenschaften eines „guten Politikers“ weitgehend vorbei. Und das macht es für Frauen im Politbetrieb noch mal schwieriger. Denn entweder betont eine Politikerin ihre sogenannten weiblichen Eigenschaften, dann spricht man ihr aber die Kompetenz ab, den Job gut auszufüllen. Oder sie betont vor allem jene männlich konnotierten Eigenschaften, die ja logischerweise immer auch ein Teil von ihr als Persönlichkeit sind. Die Folge ist dann, dass man ihr das Frausein abspricht. Und das ist auch nicht gut, denn man muss ja „authentisch“ sein in der Politik.
Dieser Punkt verbindet sich mit den philosophischen Gedanken, die Schiller in „Maria Stuart“ untersucht hat. Elisabeth gilt als Beispiel dafür, wie ein Mensch der Öffentlichkeit unter dem Druck der Erwartungen des Volkes den inneren Kompass verliert.
Das macht ja auch Sinn, weil sie immer in dieser Mechanik drinsteckt, die vorschreibt, dass sie nicht so sein darf, wie sie eigentlich ist. Frauen, die sich entscheiden, in die Politik zu gehen, stehen vor einer Art Doppelmühle, „double bind“ nennt sich das in der Wissenschaft. Entweder sie sind zu weiblich oder zu wenig weiblich.
Egal wie Politikerinnen auftreten, kann es gegen sie verwendet werden. Politikerinnen, die eher weiblich orientiert sind, kriegen die ganze Zeit subtil – oder gar nicht subtil – die Kompetenzkeule übergeworfen. Kann sie das überhaupt?
Man konnte das zum Beispiel an der sehr jungen finnischen Ministerpräsidentin Sanna Marin beobachten. Als Party-Videos von ihr veröffentlicht wurden, wurde ihre Eignung für das politische Amt in Frage gestellt. Und Frauen, die ihre weiblichen Eigenschaften gar nicht betonen, – was kriegen die umgehängt? Als Angela Merkel zum ersten Mal als Kanzlerin kandidiert hat, stand auf der Titelseite des Satiremagazins „Titanic“: Darf das Kanzler werden? Das ist die Zwickmühle, in der Frauen sich bewegen.
Und als Angela Merkel dann mit großem Kleid und Dekolleté in der Oper war, wurde dieser Auftritt auch von den Zeitungen zerpflückt.
Grundsätzlich gilt für alle Menschen, dass sie über ihre Kleidung ein bestimmtes Geschlechterbild betonen. Aber für Politikerinnen ist es von ganz besonderer Brisanz, weil sie quasi mit dem Brennglas untersucht werden.
Zugleich gibt es für Frauen differenziertere Etikett-Regeln. Ein männlicher Politiker kann sich in der Früh den Anzug anziehen und damit ist er sowohl für den Frühstückstermin, für die Öffnung des Kreisverkehrs, für den Besuch bei der Freiwilligen Feuerwehr und für das abendliche Enquete-Essen gut gekleidet. Keiner wird sagen, der schaut aber irgendwie unpassend aus. Derselbe Terminkalender für eine Frau? Schwierig. Sie braucht eigentlich drei Outfits, damit sie jedes Mal on point ist.
Der Anzug der Männer ist die Uniform, die immer passt und die vermittelt, dass wir es mit einem kompetenten Menschen zu tun haben, der sich auskennt. Und so eine Art von Uniform haben Frauen eigentlich nicht.
Es ist ja nicht so, dass man aus der rechten Perspektive Frauen zwingend für unwählbar hält. Marine Le Pen und Giorgia Meloni sind interessanterweise beide Töchter eines wichtigen rechtsextremen Politikers. Die „Tochter von“ ist schon mal was anderes, als wenn sich eine Frau ihren Stand selbst erarbeiten muss. Wenn er gut war, wird sie auch gut sein. Er hat sie da eingesetzt, und er weiß schon, was er macht. Das hat etwas sehr Patriarchales und passt gut ins gesellschaftliche Verständnis dieser Parteien.
Und was wir auch nicht vergessen dürfen, es gibt noch eine andere Rolle, die Frauen in der Politik verkörpern dürfen: Die strenge Mutter. Dieses Rollenbild kennen wir zu allen Zeiten. Und damit können Wähler*innen tatsächlich sehr gut aktiviert werden, auch weil dieses Frauenbild ins kollektive Bewusstsein eingedrungen ist.
Denken wir an Maria Theresia, die strenge Mutter. Auch die letzte Queen Elisabeth wurde als strenge Landesmutter betrachtet. Angela Merkel hat weniger die Strenge inszeniert, aber die Mutti war sie ja dann doch für Deutschland.
Gibt es Unterschiede zwischen Politikerinnen und Politikern in Bezug auf die Durchlässigkeit der Grenzen ihres Privatlebens?
Ja, das hat unterschiedliche Gründe. Gegenüber Angehörigen von Gruppen innerhalb der Gesellschaft, die nicht so viel Macht haben, gibt es grundsätzlich eine gewisse Distanzlosigkeit.
Wird über weibliche Politikerinnen gesprochen, wird häufig nur der Vorname verwendet. Trump ist Trump, aber Kamala Harris ist nicht Harris, sondern Kamala. Das sorgt für eine Nähe, die da eigentlich nicht hingehört.
Mit dieser Art von Distanzlosigkeit geht auch einher, dass man dann vermeintlich das Recht hat, gewisse Dinge zu fragen oder herauszufinden. Wie machen Sie das mit Ihren Kindern? Wer kümmert sich jetzt? Kein Mann wird das je gefragt.
Wie private Lebensentscheidungen getroffen werden, wird bei Frauen stärker überprüft, und das befördert auch die angesprochene Doppelmühle, in der Frauen sich befinden. Egal welche Eigenschaften Frauen betonen, zeigen sie ein Defizit.
Gibt es bestimmte Zeiten, in denen Frauen bessere Chancen auf eine Karriere in der Politik haben?
Da gibt es unterschiedliche Forschungsergebnisse. Aber häufig ist zu beobachten, dass ausgerechnet dann, wenn der Karren wirklich an die Wand gefahren worden ist, wenn wir knietief in Problemen stecken, Frauen eine Chance bekommen. In einer Mega-Krisenzeit erhält eine Frau den Posten als CEO – oder als Kanzlerin – , mit hohem Risiko zu scheitern. Aber wenn das Ding dann wieder läuft, wird sie durch einen Mann ersetzt.
Welche Rolle spielen Frauen in Diktaturen?
Es gibt nur einige wenige Beispiele weiblicher Diktatorinnen oder autoritärer Führerinnen, was auf den historischen und strukturellen Ausschluss von Frauen aus der Macht zurückzuführen ist. Was die Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Diktatoren angeht, würde ich sagen, dass diese eher kulturell und weniger biologisch bedingt sind.
Frauen, die an die Macht kommen, müssen oft doppelt hart auftreten, um in patriarchal geprägten Strukturen ihre Autorität zu behaupten. Also regieren sie genauso gewaltsam und repressiv wie ihre männlichen Pendants – Machtstrukturen sind in erster Linie durch die Systematik der Unterdrückung geprägt, nicht durch das Geschlecht der Herrschenden.
In Diktaturen hingegen werden Frauen häufig instrumentalisiert. Oft übernehmen sie Rollen, die ihre Unterordnung und Funktionalisierung innerhalb des Systems festigen. Sie dienen als Symbolfiguren für Propagandazwecke, etwa als „Mütter der Nation“, oder werden in patriarchalen Systemen zur Unterstützung männlicher Machtansprüche missbraucht.
Besonders in Kriegs- und Konfliktregionen wird sexualisierte Gewalt als Mittel der Machtausübung und Einschüchterung eingesetzt. Zusammenfassend lässt sich sagen: Weibliche Diktatorinnen sind zwar selten, agieren aber ähnlich repressiv wie männliche. Frauen selbst sind in Diktaturen oft Objekt von Unterdrückung und Gewalt, was auf tief verwurzelte patriarchale Strukturen hinweist.
Vielen Dank für das Gespräch!
Barbara Blaha ist Autorin, Herausgeberin und Gründerin des Politkongresses Momentum sowie des Thinktanks Momentum Institut. Sie ist Co-Autorin des Buches „Das Ende der Krawattenpflicht. Wie Politikerinnen in der Öffentlichkeit bestehen“ (Czernin Verlag).